Im traurigen Monat November war’s

Heinrich Heine ist immer aktuell, besonders in der heutigen Zeit

Heinrich Heine; Öl auf Leinwand, Maße: 34,5 x 30 cm. Das Original befindet sich heute im Besitz des Heinrich-Heine-Instituts in Düsseldorf

Wer kennt nicht die von Heinrich Heine 1844 verfassten berühmten Zeilen, die heutzutage die geistige Quelle für die SPD-Dialogveranstaltungen #SPDerneuern sein sollten:

“Ich kenne die Weise, ich kenne den Text,
Ich kenn auch die Herren Verfasser;
Ich weiß, sie tranken heimlich Wein
Und predigten öffentlich Wasser”

Wer in die sehr lesenswerte Jubiläumszeitschrift 150 Jahre Sozialdemokratie schaut, findet dort u.v.a. das in klassischer Art und Weise auf die Ursprünge der Sozialdemokratie zugeschnittene Gedicht (Auszüge) des Dichters.
Ein Satz in der Enzyklopädie Wikipedia zu  Heinrich Heine erschreckt zunächst und stiftet gleichzeitig aber Bewunderung für die Person Heines:
“Wegen seiner jüdischen Herkunft und seiner politischen Haltung wurde er von Antisemiten und Nationalisten über seinen Tod hinaus angefeindet.” 

Heines Versepos “Deutschland. Ein Wintermärchen” entlockte seinem damaligen Verleger, Julius Campe (Hoffmann und Campe Verlag),  „Sie werden viel für diese Gedichte zu leiden haben […] Nicht zu gedenken, dass Sie den Patrioten neue Waffen gegen sich in die Hände geben und so die Franzosenfresser wieder in die Schranken rufen, auch die Moralisten werden über Sie herfallen […] Wahrlich, ich habe nie so bei einem Ihrer Artikel geschwankt als eben bei diesem, nämlich was ich tun oder lassen soll.“

Heinrich Heines satirisches Werk ist die Novembergeschichte, die er nach dreizehn Jahren Exil im Rahmen seiner Heimreise von Paris nach Hamburg verfasste. Der gesellschaftskritische Text regt zum Nachdenken an. Seinen deutschen Freunden versprach er in sarkastischer Art und Weise “ein neues Lied, besseres Lied: Wir wollen hier auf Erden schon / Das Himmelreich errichten.”

Im traurigen Monat November war’s,
Die Tage wurden trüber,
Der Wind riß von den Bäumen das Laub,
Da reist ich nach Deutschland hinüber.

Und als ich an die Grenze kam,
Da fühlt ich ein stärkeres Klopfen.
In meiner Brust, ich glaube sogar
Die Augen begunnen zu tropfen.

Und als ich die deutsche Sprache vernahm,
Da ward mir seltsam zumute;
Ich meinte nicht anders, als ob das Herz
Recht angenehm verblute.

Ein kleines Harfenmädchen sang.
Sie sang mit wahrem Gefühle
Und falscher Stimme, doch ward ich sehr
Gerühret von ihrem Spiele.

Sie sang von Liebe und Liebesgram,
Aufopfrung und Wiederfinden
Dort oben, in jener besseren Welt,
Wo alle Leiden schwinden.

Sie sang vom irdischen Jammertal,
Von Freuden, die bald zerronnen,
Vom jenseits, wo die Seele schwelgt
Verklärt in ew’gen Wonnen.

Sie sang das alte Entsagungslied,
Das Eiapopeia vom Himmel,
Womit man einlullt, wenn es greint,
Das Volk, den großen Lümmel.

Ich kenne die Weise, ich kenne den Text,
Ich kenn auch die Herren Verfasser;
Ich weiß, sie tranken heimlich Wein
Und predigten öffentlich Wasser.

Ein neues Lied, ein besseres Lied,
O Freunde, will ich euch dichten!
Wir wollen hier auf Erden schon
Das Himmelreich errichten.

Wir wollen auf Erden glücklich sein,
Und wollen nicht mehr darben;
Verschlemmen soll nicht der faule Bauch,
Was fleißige Hände erwarben.

Es wächst hienieden Brot genug
Für alle Menschenkinder,
Auch Rosen und Myrten, Schönheit und Lust,
Und Zuckererbsen nicht minder.

Ja, Zuckererbsen für jedermann,
Sobald die Schoten platzen!
Den Himmel überlassen wir
Den Engeln und den Spatzen. 

Und wachsen uns Flügel nach dem Tod,
So wollen wir euch besuchen
Dort oben, und wir, wir essen mit euch
Die seligsten Torten und Kuchen. 

Ein neues Lied, ein besseres Lied!
Es klingt wie Flöten und Geigen!
Das Miserere ist vorbei,
Die Sterbeglocken schweigen. 

Die Jungfer Europa ist verlobt
Mit dem schönen Geniusse
Der Freiheit, sie liegen einander im Arm,
Sie schwelgen im ersten Kusse. 

Und fehlt der Pfaffensegen dabei,
Die Ehe wird gültig nicht minder –
Es lebe Bräutigam und Braut,
Und ihre zukünftigen Kinder! 

Ein Hochzeitkarmen ist mein Lied,
Das bessere, das neue!
In meiner Seele gehen auf
Die Sterne der höchsten Weihe – 

Begeisterte Sterne, sie lodern wild,
Zerfließen in Flammenbächen –
Ich fühle mich wunderbar erstarkt,
Ich könnte Eichen zerbrechen! 

Seit ich auf deutsche Erde trat,
Durchströmen mich Zaubersäfte –
Der Riese hat wieder die Mutter berührt,
Und es wuchsen ihm neu die Kräfte.

Das spöttisch feierliche Gedicht beschrieb schon vor fast 175 Jahren die Erwartungen an einen Befund, den wir heute politisch feiern: Uns geht es doch so gut! Oder?

 

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