Alles bleibt wie es ist! Oder?
Wer den SPD-Erfolgsgeschichten aus der Berliner Parteizentrale und ihren Protagonisten auf den Leim geht, steht im Regen. Auch den scheinbar wohlgesonnenen Medien geht es nicht um die SPD, sondern allein um Interessengeschacher der Medienbesitzer und der Wirtschaft. Die Wahrheit findet man an anderer Stelle, z.B. bei Andrea Ypsilanti.
Die jüngste SPD-Geschichte: Gabriel verzichtet, Schulz kommt, Schulz geht, Nahles soll kommen; wird Nahles kommen? Ungewiss! Alter Wein in neuen Schläuchen?
Das wird so nichts, denn das Problem der deutschen Sozialdemokratie liegt woanders. Die komplette Vereinnahmung der SPD durch den Neoliberalismus ist Fakt. Die Gegenwehr einiger weniger wackerer Sozialdemokraten reicht nicht, um den Abwärtsstrudel der Partei zu stoppen. Warum das so ist, kann jeder Politikinteressierte in dem aktuellen herausragenden Buch von Andrea Ypsilanti erfahren.
Eine erste Empfehlung:
Andrea Ypsilantis Buch – eine Streitschrift für eine zukunftsweisende linke Politik
Und morgen regieren wir uns selbst, so der Titel des Buches. Andrea Ypsilati, die, man muss das so ausdrücken, von der eigenen Partei im hessischen Landtag gemeuchelt wurde, weil sie es wagte, Die Linke in einer rot-grünen Regierungskoalition in Hessen zu tolerieren(!). Auf dem rückseitigen Klappentext des Buches wird Ypsilantis Vision stichwortartig vorgestellt:
Eine neue Sozialdemokratie wird gebraucht
Sie war die Hoffnungsträgerin der Sozialdemokratie und bescherte Roland Koch und seiner Hessen-CDU 2008 mit ihrem progressiven Programm eine schwere Wahlniederlage. Doch die Regierungsübernahme in Hessen scheiterte. Jetzt meldet sich Andrea Ypsilanti mit einem Plädoyer für eine zukunftsweisende linke Politik. Sie analysiert die Krise der Sozialdemokratie und demokratischen Linken, fordert die Demokratisierung der inneren Strukturen und entwickelt Ideen, wie die gesellschaftliche Linke zusammenfinden kann, um der neoliberalen Politik einen ernsthaften sozial-ökologischen Umbau entgegenzusetzen. Ein starker Text einer kritischen Politikerin, wie es sie heute kaum noch gibt.
Statt eigener Worte stelle ich hier die Zusammenfassung des Vorwortes “Worum es geht” in Kurzform dar:
Und morgen regieren wir uns selbst will anstiften: Anstiften zum kritischen Denken, zum Reflektieren, zum Kämpfen. Es will Mut machen, die bestehenden Verhältnisse nicht einfach hinzunehmen. Und es möchte die endlos wiederholte angebliche »Alternativlosigkeit« hinterfragen. Es will aus einer kritischen sozialdemokratischen Perspektive Phänomene des individuellen und sozialen Lebens beleuchten. Dabei geht es nicht um Vollständigkeit, weshalb die Kapitel bewusst assoziativ angeordnet sind. Sie thematisieren unsere Lebensweise, die mehr und mehr von der Kulturindustrie vorgegeben wird, die die Individuen vordergründig idealisiert, tatsächlich aber immer noch mehr entmachtet und entfremdet. Sie handeln von der drohenden Selbstzerstörung der sozialistischen und sozialdemokratischen Parteien in Europa – mit einem gesonderten kritischen Blick auf die deutsche und europäische Sozialdemokratie und ihre vermeintliche Ohnmacht. Die ihren originären Aufgaben und Zielen nicht mehr nachkommt und nicht mal daran (ver)zweifelt.
Hand aufs Herz; aus meiner Sicht könnte eine Politikerin wie Andrea Ypsilanti den Start in eine neue sozialdemokratische Ära in Deutschland einleiten; mit vielen neuen frischen Köpfen.
Wer an unserer politischen Wirklichkeit interessiert ist, kommt an dieser lohnenden Lektüre nicht vorbei. Es ist in allen Buchhandlungen erhältlich und gegebenenfalls zu bestellen unter ISBN 978-3-86489-160-1 (Westendverlag) und kostet 18,00 €.
Wie ich bereits schon mehrfach gebloggt habe, letztendlich wird die Sozialdemokratie nur dann noch zur Luft kommen, wenn sie die wenigen Differenzen mit der Linke ausräumen kann und einen gemeinsamen Block gegen Nationalisten, Rechtspopulisten und Neonazis in Deutschland und Europa bilden kann.
Zu Andrea Ypsilanti und den Vorfällen rund um die Hessen-Wahl vor 10 Jahren fällt einem noch mehr ein, vor allem in der momentanen Situation.
Ypsilanti und Hermann Scheer hatten damals zumindest mal eine klare Vision: Hessen 100% Energie autark machen (als Vorzeige-Bundesland quasi, mit Scheer als Superminister für Wirtschaft und Umwelt). Aus Angst davor, dass diese Vision Wirklichkeit wird, hat der (damalige) Genosse Clement ja noch am Tage vorher Zeitungsinterviews gegeben, in dem er quasi dazu aufgefordert hatte, Roland Koch zu wählen. Nur am Rande: der Umwelt/Klima/Energiekomplex hat ja heute gar kein Gesicht mehr bei der SPD, im Koalitionsvertrag wird das Verfehlen der Klimaziele als “Handlungslücke” bezeichnet (Zeile 6745).
Zu Thema “Lügilanti”: Ihr Verbrechen, oder Wortbruch, hat darin bestanden, vor der Wahl (vermutlich auch auf Druck auch vom damaligen Vorsitzenden Kurt Beck) eine Zusammenarbeit mit den Linken auszuschließen, um dann nach dem schwierigen Wahlergebnis zu versuchen, sich mit Duldung der Linkspartei zur Ministerpräsidentin wählen zu lassen. “Gott sei Dank” (aber nur für Clement, Münte, Steinmeier und Co …) fanden sich auch hier in den eigenen SPD Reihen nützliche Idioten, die das verhinderten.
Dass Ypsilanti dafür dann zurücktrat, wirkt aus heutiger Sicht geradezu lächerlich. Dann hätte Schulz schon vor 3 Monaten gehen müssen, und nicht erst jetzt.
Ganz zu schweigen von Frau Merkel! Aber die SPD hat mal wieder nix besseres zu tun, als der Wortbrecherin Nr. 1 (“keine Mehrwertsteuererhöhung! Keine Maut! Den Ausstieg aus den Atomausstieg! Den Ausstieg aus dem Ausstieg vom Atomausstieg! Keine Obergrenze …”) das Amt zu retten. Vielleicht sollte man allen SPD-Abgeordneten in Berlin, wenn es zur Wahl der Kanzlerin kommt, sagen, dass sie an die Frau Merkel die gleichen moralischen Maßstäbe legen sollen wie damals an unsere eigene Genossin Andrea Ypsilanti. Dann wäre es, frei nach Wilhelm Busch, noch vor Ostern “vorbei, mit der Übeltäterei”.
Hallo und Guten Abend Christian,
mit Andrea Ypsilanti und den im Beitrag erwähnten “vielen neuen frischen Köpfen” wäre nach meiner Überzeugung die Erneuerung der SPD machbar. Deshalb auch die Überschrift “Andrea Ypsilanti statt Nahles – eine ernst gemeinte Vision für den SPD-Parteivorsitz”.
Hier teile ich auch die aktuelle Stellungnahme von Sarah Wagenknecht, die heute auf RP-Online erneut für eine neue linke Sammelbewegung für soziale Gerechtigkeit und Frieden geworben hat. Ihre Ansage, “Andrea Nahles für Neuanfang der SPD denkbar ungeeignet” teile ich. Denn wenn ein so besonnener Sozialdemokrat wie Rudolf Dreßler sagt: „Das, was jetzt passiert, definiere ich als Super-Gau“, dann glaube ich das. Er hat damit die Vorgänge um Andrea Nahles im Blick.
Und nochmal mein Orakelspruch: Die Hoffnung stirbt zu Letzt.