SPD-Mitglieder stellen die Weichen für oder gegen eine Große Koalition mit CDU/CSU
Das kleine Luxemburg hat vorgemacht, wie durch mehrheitlichen Willen der Wählerschaft auch eine „stärkste Partei“ nicht mit Mehrheit gleichzusetzen ist. Im “Ländchen” haben drei Parteien die seit 18 Jahren regierende konservative CSV mit Jean Claude Junker an der Spitze abgelöst und einen Politikwechsel eingeleitet.
In Deutschland ist bei vielen Genossinnen und Genossen und bei SPD-Nahestehenden das Misstrauen gegenüber einer erneuten Großen Koalition nachhaltig vorhanden und spürbar; denn Politikwechsel ist kaum in Sicht.
Die Rückerinnerung an das Fiasko von 2009, das der SPD mit 23 Prozent das katastrophalste Wahlergebnis seit 1949 bescherte, wirkt so stark nach, dass viele Genossinnen und Genossen einfach nichts Gutes von einer Koalition mit der Merkel-Partei erwarten. Die 25,7 Prozent vom 22. September sind der überdeutliche Hinweis, dass die sozialdemokratische Wählerschaft und die Parteimitglieder noch nicht vom Trauma befreit sind.
Man hat auch nicht vergessen, wer das Dilemma von 2009 verursacht hat. In der Großen Koalition von 2005 bis 2009 hatte sich die SPD dies einzig und allein zuzuschreiben. Sie hat auch diesmal zu verantworten, dass sich eine rot-rot-grüne Mehrheit im Lande nicht durchsetzen konnte.
Die beim Bundesparteitag vom 14. bis 16. November 2013 in Leipzig erfolgte Korrektur der fatalen Ausschließeritis bezüglich der Partei „Die Linke“ kam zu spät. Erst nach der Wahl vom 22. September begriff man den Fehler, den man beim Bundesparteitag endlich löschte. Derzeit ein mehr als schwacher Trost: Die SPD wird künftig keine demokratische Partei aus den Koalitionsoptionen ausschließen.
Standpunkt und Meinung zugleich
Die Genossin, Gabriela Linden, Temmels, beschreibt in einer Stellungnahme das Bauchweh vieler SPD-Parteimitglieder, die durch ein Votum oder ein Veto dem Parteivorstand die Richtung pro oder kontra Große Koalition weisen werden.
Auch wenn bis dato bereits über 200.000 Abstimmungsbriefe eingegangen sind, ob mit Ja oder Nein zur Großen Koalition steht noch als Frage im Raum.
Ja mit Bauchschmerzen?
Mit Risiken und Nebenwirkungen zur großen Koalition? Wer mit Bauchweh nicht zum Arzt geht…., was kann dann passieren? So einiges.
Wenn man sich die medialen Debatten der letzten Tage anschaut, scheint das Ergebnis der SPD-Mitgliederbefragung schon festzustehen. Verschiedene Umfragen sehen eine große Mehrheit für die Annahme des Koalitionsvertrages und damit für die große Koalition. Gleichzeitig wird auch in der regionalen Presse davon gesprochen, dass viele Mitglieder nur „unter Bauchweh“ zustimmen.
Woher rührt dieses Bauchweh und vor allem, warum scheint es unausweichlich? Die Antwort hierzu mag vielfältig ausfallen. Trotz der in den Koalitionsverhandlungen erreichten “Erfolge”, die der Parteivorstand in Stichpunkten aufzählt um die Parteimitglieder auf Linie zu bringen (die Empfehlung mit Ja zu stimmen liegt dem Abstimmzettel bei), könnte ein SPD-Mitglied das Ergebnis aus anderer Perspektive erheblich relativieren.
Die Zwei-Klassen-Medizin bleibt, Reichensteuern gibt es nicht, die Energiewende wird stark ausgebremst und für die großen Konzerne aufbereitet, die totale Überwachung durch die Geheimdienste der USA scheint niemandem wichtig, zur Europapolitik findet sich nicht wirklich was und auch das Herzstück, der Mindestlohn, kommt ohne Inflationsausgleich und erst 2017 ohne Ausnahmen. Die Liste würde sich noch um einiges ergänzen lassen.
Ein weiterer wichtiger Punkt, neben den Inhalten, wird aber auch der Gedanke an weitere vier Jahre in Muttis Schatten sein. Niemand wird ernsthaft annehmen, dass diese SPD der erstarkten CDU/CSU nun das Regierungsheft aus der Hand nehmen und eventuelle Erfolge sich selbst, Misserfolge aber der Union zuschreiben könnte. Was oder wer sagt den Genossen, dass sie nicht dem Weg der FDP folgen und, wie schon 2005-2009, an den Rand der Bedeutungslosigkeit regiert werden? Nichts und niemand und auch der Parteivorstand nicht.
Weil diese Gefahr sehr real und realistisch ist, ist das Bauchgefühl nicht nur natürlich, sondern auch konsequent!
Der gefühlte Zwang zur Zustimmung rührt oftmals aus der angeblichen Alternativlosigkeit der großen Koalition. Dass die politische Lage außerhalb dieser Konstellation nicht einfach ist, wird niemand bezweifeln. Trotzdem wurde das Wort “alternativlos” nicht umsonst Unwort des Jahres 2010, denn erstens erübrigt sich damit jede demokratische Wahl, welche die Mitgliederabstimmung trotz zweifelhafter „Entscheidungshilfen“ ja darstellen soll. Zweitens sind Koalitionsbauchschmerzen nicht nur für die SPD reserviert, auch einige Persönlichkeiten der Grünen Partei scheinen sie zu verspüren. Drittens gibt es gute Gründe anzunehmen, dass eine SPD, die ihren Inhalten aufrichtig treu geblieben ist und ihren Mitgliedern das Vertrauen entgegenbringt, in Einklang mit Bauch und Verstand und ohne einseitige Beeinflussung ihre Entscheidung zu treffen, keine Angst vor Neuwahlen haben müsste.
Die SPD in der Opposition, unabhängig davon, ob Minderheitsregierung von CDU/CSU, Schwarz-Grün oder nach wie auch immer gearteten Neuwahlen, hätte die Chance, ein starkes Signal für einen echten Wandel in der Politik zu geben, indem sie mit wechselnden Mehrheiten ihre Inhalte durchsetzt. Diese Möglichkeit wird im Vorfeld beim Für und Wider der großen Koalition vergessen oder nicht ernsthaft diskutiert.
Bleibt die Frage, warum nicht?