Erneuerung der CDU – Dreifach-Qual einer seltsamen Vorsitzendenwahl

Friedrich Merz, Norbert Röttgen aus der Zeit gefallen! – Helge Braun, aus dem Zufallsgenerator geborener Kandidat?

Vorschaubild zum Blogbeitrag: Harm Bengens Cartoon zur laufenden CDU-Vorsitzenden-Kandidatenwahl. Mit freundlicher Gestattung H.B.

Professor Dr. Mohssen Massarrat, kann als Deutsch-Iraner wertneutral den Blick über die politische Landschaft in Deutschland werfen. Das breit gefächerte Spektrum des emeritierten Professors für Politik und Wirtschaft am Fachbereich Sozialwissenschaften der Universität Osnabrück prädestiniert ihn mit allen Ausprägungen zu politischen Themen Stellung zu nehmen. Seine weiteren Forschungsschwerpunkte Naher und Mittlerer Osten, Energie, Friedens- und Konfliktforschung, sowie der Nord-Süd-Konflikt runden das Bild eines wissenschaftsbasierten Gesellschaftspolitikers par Exellance ab. Als Autor in den „Blättern für deutsche und internationale Politik“ *) – die größte politisch-wissenschaftliche Monatszeitschrift im deutschen Sprachraum, geniest er hohen Rang.
Persönlich und als Blogger empfinde ich es als Genugtuung, dass Professor Massarrat mich in seinem Verteilerkreis berücksichtigt; besonders, weil die politischen Ansichten dicht beieinander liegen.

Drei wahnsinnig neue Gestalten sollen die CDU erneuern. Friedrich Merz, ehemaliger BlackRock-Deutschland-Star und angeblich Favorit der Mitgliederbasis, Norbert Röttgen, der Allrounder mit starker Atlantiker-Attitüde und ganz neu im Trio Helge Braun,der als Noch-Kanzleramtsminister seine beiden Nebenbuhler verhindern soll, bilden die Auswahl für den Vorsitz die christlich-konservativen Volksgemeinschaft CDU. Bild: Screenshot tagesthemen ARD

Deshalb hier und heute den aktuellen Standpunkt des Wissenschaftlers zum Rumoren in der CDU im Rahmen der Wahl eines Vorsitzenden, wobei eine Frau erst gar nicht im Betracht steht.

Prof. Dr. Mohssen Massarrat, Politik- und Sozialwissenschaftler, lebt seit 1961 in Deutschland. Er ist Autor zahlreicher und hochqualifizierter Beiträge in den „Blättern. Foto: Mit freundlicher Überlassung Mohssem Massarrat.

Professor Massarat hat mir vorige Woche, am 3. Dezember 2021, seine Sichtweise auf die drei Vorsitzenden-Kandidaten der CDU übermittelt, die ich hier unkommentiert wortgetreu veröffentliche. Bemerkenswert ist auch, dass Albrecht Müllers NachDenkSeiten Massarrats Standpunkte auch als Audio-Podcast verfügbar gestellt haben.


„Nicht weil seine Umfragewerte bei den CDU-Mitgliedern besser wären als die bei den beiden anderen Kandidaten. Merz hatte fast immer die Mehrheit der Basis hinter sich. Er scheiterte in den letzten Jahren jedoch vor allem an der Parteielite. Man befürchtete zu sehr, der rechtskonservative Friedrich Merz wäre nicht in der Lage, alle wichtigen Parteiströmungen zu integrieren und darüber hinaus könnte er auch einen Teil der Wähler verprellen. In der Tat ist der rhetorisch gewiefte CDU-Politiker wie kein anderer in der CDU-Führung in der Lage, die neoliberalen und marktradikalen Irrwege schönzureden.

Merz ist im Gegensatz zu anderen Kandidaten für die Parteibasis glaubwürdiger als beispielsweise Norbert Röttgen, der von sich behauptet, ad personam den Klimaschutz zu verkörpern. Dass er schon einmal Umweltminister war, reicht für eine solche Selbstbeweihräucherung nicht aus. Merz tritt nicht nur vehementer als viele andere CDU-Politiker für die Profitinteressen der Industrie ein, er repräsentiert auch authentisch den konservativen Parteiflügel. Seine Aussage, er könne sich mit Homosexualität abfinden, „wenn alles im gesetzlichen Rahmen stattfindet“, ist nur ein Beispiel für seine konservative Geisteshaltung.

Der Grund für die ziemlich große Chance, diesmal mit der Unterstützung der Parteiführung doch zum Parteivorsitzenden gewählt zu werden, ist heute ein anderer: die Ampelkoalition, genauer gesagt die FDP und Christian Lindner in der Ampelkoalition. Mit Friedrich Merz an der Partei- und logischerweise demnächst sehr wahrscheinlich auch an der Koalitionsspitze bestünde nämlich die Möglichkeit, aus der Opposition heraus in der Ampelregierung mitregieren zu können. Christian Lindner hätte nicht nur die Schuldenbremse in der Verfassung (ein Jammer, dass die neoliberalen Politiker mit großzügiger Hilfe der SPD die Schuldenbremse in der Verfassung genau für solche Momente verankerten) auf seiner Seite, sondern auch eine starke CDU-Opposition, die ihm auf parlamentarischer Ebene in die Hände arbeitet. Schwarz-gelb hätte in dieser in der parlamentarischen Geschichte Deutschlands einzigartigen Machtkonstellation die Möglichkeit, sämtliche rot-grünen Vorhaben, die die Profitmaximierung der Konzerne beeinträchtigen könnten, zu blockieren oder mindestens zu verwässern.


Olaf Scholz und Robert Habeck würden so in der gesamten Legislaturperiode ihre ganze Kraft für jede noch so kleine Maßnahme in den Bereichen Wohnungsbau,
Kindergrundsicherung, Kohleausstieg, Verkehrswende etc. verschleißen und viele weitere Kompromisse machen müssen, um sie gegen die de facto schwarz-gelbe Koalition – Merz aus der Opposition und Lindner in der Regierung – überhaupt durchsetzen zu können. Die Ampelkoalition käme so nie in die Lage, eigene ohnehin schwache Zukunftsprojekte auf die politische Agenda zu setzen. Heraus käme am Ende eher ein schwarz-gelbes Weiterso mit rot-grünem Anstrich und – was genauso desaströs wäre – mit rot-grüner Legitimation.


Diese Perspektive erklärt auch, weshalb Christian Lindner, der sich ursprünglich nicht im Traum hätte vorstellen können, mit der SPD und den Grünen zu koalieren, am Ende des Tages doch noch hinreichend Fantasie für eine Ampelkoalition aufbringen konnte. Dieses Ganze ist so gesehen äußerst fruchtbar für das Überleben der FDP, zugleich jedoch katastrophal für Deutschland und dessen Bevölkerung und unvorstellbar schlecht für einen Klimaschutz, der diesen Namen verd
ient.“

Albrecht von Lucke. Foto: Wikipedia, Tobias Tanzyna

*) Ein Blick in die „Blätter für deutsche und internationale Politik“ ist ein lohnender. Politisch interessierte(r) Bürger(in) Bürger kennen Albrecht von Lucke, den Politikwissenschaftler ohne Scheuklappen, dessen Schnelldenker-Kommentare in Hörfunk und Fernsehen (u.a. ARD-Presseclub, Phönix-Runde, Maischberger und Maybrit Illner) begeistern können. Lucke studierte Rechtswissenschaft und Politologie in Würzburg und Berlin. Seit 1989 lebt und arbeitet er in Berlin und ist seit 1999 als freier Publizist tätig. Seit 2003 ist er Redakteur der Monatszeitschrift Blätter für deutsche und internationale Politik.

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