Der Parteitag vom 7. bis 9. Dezember sollte es bringen; allein es fehlt der Glaube

“Ergebnisoffen” und gefangen im “Hartz IV-Käfig”

Man darf mir getrost unterstellen, dass ich als langjähriges SPD-Mitglied mit großer Begeisterung “meine” Partei mit allen Mitteln unterstütze. Allein mir fehlt der Glaube an das vielbeschworene Schlagwort #SPDerneuern, wie es auch Thema des  gerade zu Ende gegangenen Parteitages war.

Änderungen bei Hartz IV und weitere Reformen der Agenda 2010 hatte Martin Schulz zu Beginn des Wahlkampfes im Sinn. Der SPD- und Schulz-Hype im Frühjahr überflügelte sogar Merkel und die CDU/CSU mit über 31 Prozent Zustimmung in der Wählergunst. Diejenigen in der SPD, die diese Absichten von Schulz zerstört haben, werden die Verantwortung für das nächste Desaster tragen. Foto: fotolia

Warum mir der Glaube fehlt, kann ich hier schildern. Die Medien werden es genüsslich aufbereiten, wenn die SPD nach ihrem Parteitag mit fliegenden Fahnen das eigene Schiff versenkt um sich wieder Mal in Merkels Fregatte zu begeben.

Der renommierte Autor, Redakteur und Publizist Michael Jäger hat in der Wochenzeitung derFreitag (Verleger: Jakob Augstein, Herausgeber: Jürgen Todenhöfer) vom 7. Dezember 2017 das Titelthema “Agenda Untergang” verfasst, in dem ich die Bestätigung meiner kritischen Überlegungen gefunden habe. An anderer Stelle in diesem Blog habe ich meine Vorstellungen dargelegt, wie die SPD auf den Pfad der Tugend, sprich Gerechtigkeit, zurückkehren könne.

Michael Jäger schreibt:
[…] Da lesen wir aber unter dem Datum des 19. Juli, dass ein Meinungsforscher Martin Schulz verständlich gemacht hat, weshalb der „Hype” um seine Person vom Frühjahr zusammengebrochen ist: Die Wähler, die ihm zugeströmt waren, ihm kurzzeitig einen Vorsprung vor Angela Merkel und auch seiner Partei einen vor der Union beschert hatten, das waren „Millionen Menschen, die sich vor allem nach der Agenda 2010 abgewandt hätten. Diese Leute hätten kurzzeitig zurück zur SPD gefunden, seien jetzt aber wieder weg.” Zwei Monate vor dem Wahltag hörte Schulz diese Analyse und hätte immer noch umsteuern können. Hat er etwa angekündigt, die Agenda zurückzunehmen, Hartz IV insbesondere? Im Gegenteil, er hat Gerhard Schröder, unter dessen Ägide als Kanzler sie eingefädelt worden war, als Redner zum Wahlparteitag eingeladen. Aber schon im Frühjahr musste er den Zusammenhang begreifen. Seine Umfragewerte gingen zurück, sobald klar wurde, dass er über die Artikulation eines vagen Missmuts nicht hinausgehen wollte, konkrete Maßnahmen nicht ankündigte. Warum wohl nicht? Wir sollen glauben, er habe es dummerweise vergessen. Das war auch die Zeit der verlorenen Saarland-Wahl, als die SPD-Spitze kolportieren ließ, der Fehler sei gewesen, eine Koalition mit der Linkspartei nicht ausgeschlossen zu haben. So seien die Wähler der Union in die Arme getrieben worden. Umgekehrt wird ein Schuh draus. Man erinnert sich, dass die SPD schon 2013 eine rot-rot-grüne Koalition auf Bundesebene hätte bilden und anführen können. Die Koalition mit der Linkspartei, die wegen der Agenda entstanden ist, wäre eine Koalition gegen diese Agenda gewesen. Aber die SPD hütete sich, sie zu bilden. Sie bleibt die Agenda-Partei, bis heute.”

Acht Stunden Parteitag vor dem Fernseher
Das hab ich mir als Mensch im Unruhestand, der die Zeit dazu verwenden kann, am 1. Tag angetan. An den beiden Folgetagen waren es zusammen nochmal weitere acht. Zu groß war mein Interesse, um nach dem Wahldebakel vom 24. September einfach zur Tagesordnung zu kommen.

Agenda 2010 und Hartz IV werden in die Geschichte der SPD eingehen. Leider nicht als positives Bild einer Partei, die sich von Anfang an der sozialen Gerechtigkeit verschrieben hat. Foto: fotolia

 

Im Hartz IV-Käfig?
Auch ein Genosse aus der Region, der mir per E-Mail empfahl, doch aus dem Hartz IV-Käfig herauszukommen, weil er befürchtete, dass ich mir ein Magengeschwür zuziehen könne, liegt falsch, wenn er andere Gründe für den Absturz der SPD anführt.
In dem bereits weiter oben verlinkten Blogbeitrag habe ich darauf verwiesen, dass man Martin Schulz zurückgepfiffen habe, als er, richtig erkannt, Agenda 2010 Korrekturen zum Wahlprogramm erheben wollte.

 

Hierin bestärken mich folgende Tatsachen:

  • Die aktuelle Ausgabe der Parteizeitung “vorwärts”, Ausgabe September/Oktober 2017 hat es zustande gebracht, den Begriff Agenda 2010 in dieser Ausgabe vollkommen zu verdrängen. Drei Mal habe ich die Zeitung durchforstet auf der Suche nach den Worten “Agenda 2010” oder “Hartz IV”. Aber ein Mal hat man es doch übersehen, als Leserbriefschreiber Sigurd Schmidt auf Seite 23 unbemerkt und fast unauffällig schrieb: “Die Klage “alter” SPDler, die SPD hätte unter Gerhard Schröder mit seiner Agenda 2010 und den Hartz IV-Verordnungen ihre Seele verloren, ist viel zu deklamatorisch.”
    Wie gesagt, man hat es höchstwahrscheinlich übersehen.
  • Wer den Parteitag an den drei Tagen verfolgt hat, durfte feststellen, dass auch hier die Sprachregelung “Agenda 2010” verpönt war. Lediglich die Delegierte Viktoria Spiegelberg-Kamens, Gewerkschafterin aus Hessen-Süd, sagte dem Parteivorsitzenden in aller Deutlichkeit ins Gesicht, “dass das, was du sagst, nicht aus deinem Herzen kommt”.  Sie war diejenige, die Schulz Angst unterstellte, die Agenda 2010 zu thematisieren.
  • Ministerpräsidentin Malu Dreyer, mit 97,5 Prozent zum SPD-Vize gewählt, hat in einem Interview mit dem Trierischen Volksfreund am 2./3. Dezember 2017 auch den Begriff Agenda 2010 vermieden, aber deutungsschwer geäußert:
    […] Die Arbeitswelt verändert sich, und es ist unsere Aufgabe, den Wandel zu gestalten, Menschen gute Bedingungen zu ermöglichen und ihnen die Sicherheit zu geben, nicht abzustürzen. Damit sind wir leider bisher nicht durchgedrungen”. Der Absturz, den Malu Dreyer benennt, ist der Sturz in die Hartz IV-Falle.

Die Agenda 2010 ist für mich nach wie vor und ohne Zugeständnisse der Grund für den Niedergang der SPD seit 2005. Ich sage das auch hier wieder, dass diese vom ehemaligen Kanzler Schröder, seinem damaligen Kanzleramtsminister Steinmeier (heute Bundespräsident) und weiterer Gefolgschaft als Rettungstat für Deutschland dargestellt wurde, die man höchstens Helmut Kohl und der CDU/CSU und FDP zugetraut hätte.

Zum Schluss noch dies: Der Parteitag hat gegen die Stimmen der Jusos den Beschluss gefasst, ergebnisoffene Gespräche mit CDU/CSU zu führen um zu prüfen, inwieweit Sondierungsgespräche zur Bildung einer GroKo möglich seien.

Meine Vorhersage hierzu: Das Ergebnis wird sein, dass Sondierungen zu ermöglichen sind und Koalitionsverhandlungen aufgenommen werden. Es bleibt zu hoffen, dass die Parteimitglieder im Rahmen der beabsichtigten Mitgliederbefragung eine aus Erfahrung gespeiste Entscheidung treffen.

Mein persönlicher Wunsch: Keine Koalition mehr mit dieser CDU/CSU; wobei die Betonung besonders auf CSU liegt.

 

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4 Antworten zu Der Parteitag vom 7. bis 9. Dezember sollte es bringen; allein es fehlt der Glaube

  1. Gabriela Linden sagt:

    Grundsätzlich stimme ich Alfons Maximini und Martin Möller zu. Es ist zum Haare raufen! Wer macht schon den gleichen Fehler zweimal? Die letzte Groko kam schon gegen den erheblichen Widerstand eines großen Teils der Basis zustande. Das Ergebnis bei der Bundestagswahl 2017 war bekanntlich 20,X%. Die Wähler haben die Große Koalition ganz klar abgewählt, oder zählt das nicht mehr? Die SPD braucht überzeugende INHALTE, sozialdemokratische Inhalte, wenn sie wieder Gestaltungsmacht und damit mehrheitsfähig sein will. Und das geht meiner Meinung nach zur Zeit nur in der Opposition. So ganz nebenbei wäre die SPD dann auch wieder glaubwürdig.

    • Herbert Minn sagt:

      Kann Ihnen Voll und Ganz zustimmen. Mit der 3. GroKo seit 2005, wäre endgültig jegliche Glaubwürdigkeit verloren. Ich habe mich schon beim letzten Mal gewundert, wieso 3/4 der SPD Mitglieder für eine Neuauflage der GroKo waren. Die SPD ( hier: Andrea Nahles ) hat mit dem Mindestlohn und der Rente mit 63, wichtige soziale Komponenten gesetzt. Von der CDU / CSU kam ja wirklich nix, was für den sozialen Bereich von Vorteil gewesen wäre. Trotzdem hat die SPD 5% im September verloren.
      Ich kann und werde auch diesmal gegen eine GroKo stimmen, in der Hoffnung auf eine wirkliche soziale Wende in der Sozialpolitik !

  2. Alfons Maximini sagt:

    Ich glaube, dass ich das Grundsätzliche zur SPD nach den Bundestagswahlen in meinem persönlichen Blogbeitrag vom 6. Nov. 2017 gesagt habe. Nach der Verfolgung des Bundesparteitages im Fernsehen am ersten Thementag ist mir wieder klar geworden, wie sehr unsere Repräsentanten an ihren liebgewordenen Ämtern kleben. Statt zu ihren Wähler/innen zu gehen und ihnen zuzuhören, in ihre Ortsvereine (sofern es sie noch gibt) hineinzuhören, stellen sie sich vors Mikrofon und flöten, wie sehr sie ihren Job als Minister/in unter Merkel geliebt haben. Und was die SPD in der GroKO noch alles bewegen könnte – dann kann der treueste Sozialdemokrat das kalte Heulen bekommen. Martin Schulz’ Eröffnungsrede zeigte bereits wohin die Reise geht. Zuerst mal angeblich hohe Hürden fordern, damit die gute sozialdemokratische Politik sich wieder “durchsetzen” kann, gleichwohl diese ja erst vor wenigen Wochen mit dem schlechtesten Ergebnis in ihrer über 150-jährigen Geschichte abgestraft worden ist. Dann sondieren und dem Wählervolk und den Mitgliedern weismachen wollen, dass mit Merkel und Seehofer diese wichtigen und ursozialdemokratischen Forderungen durchsetzbar seien. Ja – halten die uns denn alle für so blöd? Oder liegt es auch daran, dass die meisten aktiven Mitglieder resigniert haben? Wo waren denn die Meilensteine der SPD in der Rede von Martin Schulz? Bürgerversicherung – Fehlanzeige, Flüchtlingssituation – null konkretes, Korrekturen zu Hartz-Gesetzen – keine Ahnung, Steuerreform und Reichensteuer – kein Wort, Einwanderungsgesetz – weg vom Fenster, Wohnungsbaureformen – nichts, Immobilienhaie – noch nie gehört, Personalschlüssel Pflege – da war doch was, Pflegenotstand – nicht für uns usw. usw. Klar ist die Europafrage für unsere Zukunft sehr wichtig, v.a. allem wegen des Deppen im Weißen Haus; klar ist auch, dass die Solidar-Verweigerer in der EU nicht mehr mit dem erhobenen Zeigefinger davon kommen dürfen. Aber zunächst geht es jetzt um die Regierungsbildung in Deutschland – und darauf wollen die Menschen Antworten von der Sozialdemokratie und keine Eiertänze. Die führen unmittelbar zur Zerbröselung der SPD, siehe Frankreich, Italien, Spanien, Österreich. Wer macht eigentlich unseren Abgeordneten klar, wer denn die zukünftigen Wahlkämpfe bestreiten sollen? Ich befürchte, es wird die selbe Umarmungsstrategie der Parteispitze wie in 2013. Gut dass ich schon damals diese Koalition nicht gewählt habe.

  3. Martin Möller sagt:

    Liebe Genossen,
    jetzt wird wieder so getan, als könne man mit zwei, drei kleinen Korrekturen einfach so weitermachen. Die Wahrheit ist: Die SPD steht vor ihrem Aus als ernsthafte politische Kraft. Wenn in einem Land 40 Prozent der Bevölkerung schlechter gestellt sind als vor zehn Jahren, wenn die geflügelte Natur buchstäblich untergeht – dann reicht es nicht, organisatorisch ein paar Stellschrauben zu drehen. Wir müssen die großen Theman anpacken und müssen dabei auch Distanz beziehen zu Entscheidungen der Vergangenenheit, die allgemein gepriesen werden.
    Die SPD muss unmissverständlich klar machen, wo sie bei Hartz IV mit geht und wo nicht. Sie muss klar machen, wo sie sich von Beschlüssen der Schröder-Vergangenheit distanziert und Beschlüsse, die Zukunft haben, vehement verteidigen. Gerechtigkeit muss von der Worthülse zur Realität werden. Europa darf nicht wie bisher vor sich hindümpeln. Und Umweltschutz muss dringend in den Focus unserer Aktivität rücken – siehe die Beiträge hier zum Insekten-Problem. Wenn wir in diesen Bereichen (und sicher noch in einigen mehr) klare Kante zeigen, erledigt sich die Koalitionsfrage von allein. Entweder, wir können unsere Ziele mit der CDU erreichen. Oder wir haben allen Grund, in die Opposition zu gehen. Das Gerede um staatspolitische Verantwortung muss ein Ende haben, und die alberne Formel von den Ergebnisoffenen Verhandlungen auch. „Wir sind für die Menschen im Land da“, sagte Willy Brandt einmal im Bundestag. Da müssen wir uns vielleicht dran erinnern.
    Martin

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