Wie ist die SPD noch zu retten? Wer soll sie retten?

Köpfe austauschen reicht nicht aus

Erkenntnisse
“Die SPD hat sich von der SPD verabschiedet – es gibt sie nämlich gar nicht mehr. Es gibt die CDU im Doppelpack!”
Diese Aussage einer Wählerin bereits aus dem Jahre 2006 (!) mit Bezug auf die Agenda 2010 hat sich als unheilverkündende Warnung für die SPD herausgestellt; aber niemand hat es geglaubt – oder wahrhaben wollen. Es gibt eine Menge Gründe für den Niedergang der Partei; aber noch mehr Gründe gibt es gegen das Weiter so.

Die Quittung
Die Wahlergebnisse von 2002 bis 2017 sind das Menetekel, das die SPD-Großkopferten bis heute nicht kapiert haben, bzw. kapiert haben dürfen. Von 40,9 Prozent des Wahljahres 1998, 38,5 Prozent in 2002, 34,2 Prozent in 2005, 23 Prozent im Wahljahr 2009, das vermeintliche Zwischenhoch von 25,7 Prozent in 2013 und der abgrundtiefe Sturz auf 20,5 Prozent im Wahljahr 2017 müssten doch nun für die Annahme ausreichen, dass die deutschen Sozialdemokraten auf dem Holzweg sind.

Alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland blicken mit Angst in die Zukunft, denn alle können von den arbeitnehmerfeindlichen und unsozialen Auswirkungen der Agenda 2010 betroffen werden. Es muss aufhorchen lassen, wenn die politische Konkurrenz in Gestalt von CDU/CSU und FDP diese SPD-Agenda hochloben.

“Fördern und Fordern”
Die Frage ist: Wen fördern wir? Die Reichen oder die, die weniger haben. Und von wem fordern wir? Von den Ärmeren oder von den Reichen.
Gerhard Schröders vordergründige Maxime zur Durchsetzung eines der Hauptziele seiner Agenda 2010, Druck auf die abhängig beschäftigten Menschen ohne Arbeit zu erzeugen, hört sich nach erster Wahrnehmung als schlüssige Forderung an. Wenn es darum geht, Menschen den Weg aus der Arbeitslosigkeit zu weisen, ist das Zwangsmittel des Forderns gewissen Kreisen gerade recht; gefördert mit Almosen.

“Fördern und Fordern” – Die Kehrseite: Wo blieb bisher und wo bleibt die Forderung  der SPD an die Reichen in diesem Land? Statt Fordern gab es steuerliche Geschenke für die immer schon gut Gebetteten. Fordern bei denen, die nichts als die Arbeitslosigkeit haben, ist keine staatsmännische Kunst.

Gerhard Schröders Credo
“Entweder wir modernisieren, und zwar als soziale Marktwirtschaft, oder wir werden modernisiert, und zwar von den ungebremsten Kräften des Marktes, die das Soziale beiseite drängen würden.”
Dieser Kernsatz, den Gerhard Schröder als Begründung für die Agenda-Reformen der SPD gebrauchte, hat das beflügelt, was er bzw. die SPD zu verhindern vorgaben. Das Soziale wird, wie von allen Sozialethikern festgestellt, zunehmend und fortschreitend verhindert.

Die Tatsache, dass der SPD über 10 Millionen (!) Wählerstimmen seit 1998 abhanden gekommen sind, wird keineswegs von den ca. 450.000 Parteimitgliedern verändert werden können. Die “Partei der arbeitenden Bevölkerung” lebt derzeit nur noch von Phrasen und Worthülsen.

Was zu tun ist
Die schwersten Sünden der Agenda 2010 müssen korrigiert und/oder getilgt werden.

Absturz in Arbeitslosengeld II (ALG II)
Nach einjähriger Arbeitslosigkeit Absturz in Arbeitslosengeld II (ALG II), auch als Hartz IV im Sprachgebrauch. Ganz gleich, ob jemand nach 10, 20 oder 30 und mehr Jahren in Arbeitslosigkeit fällt; alles wird über einen Kamm geschoren. Das ist Gleichmacherei und nicht die geforderte Gerechtigkeit.

Verwertbares Vermögen – Schonvermögen
Hat sich ein fleißiger und sparsamer Arbeitnehmer für ein menschenwürdiges Auskommen und eventuell für einen auskömmlichen Lebensabend etwas angespart, dann greift §12 des Sozialgesetzbuches II. Die Folge: der Anspruch auf ALG II entfällt, weil zuerst angespartes verwertbares Vermögen für den Unterhalt eingesetzt werden muss. Derzeit sind es lächerliche Freibeträge von 150 € pro Lebensjahr des Betroffenen. Das zählt als  Schonvermögen, das nicht eingesetzt werden muss.
Das Beispiel: Ein vierzigjähriger Arbeitnehmer, der, aus welchen Gründen auch immer, arbeitslos wird, muss sein eventuell mühsam Angespartes bis auf 6.000 € zuerst verwerten, um überhaupt Anspruch auf Arbeitslosengeld II zu haben.

Deutschland Billiglohnland 
Die Agenda 2010 hat dazu geführt, dass Deutschland zum Billiglohnland geworden ist. Der amerikanische Ökonom Adam Posen behauptete schon vor vier Jahren, wie das Handelsblatt berichtete:  “Deutschland bringt seine Beschäftigten um die Früchte ihrer Arbeit“.

Hinzu kommt:
Gerhard Schröder, damals noch Kanzler und SPD-Parteivorsitzender, setzt beim Weltwirtschaftsforum am 28.01.2005 noch eins drauf:
“Wir müssen und wir haben unseren Arbeitsmarkt liberalisiert. Wir haben einen der besten Niedriglohnsektoren aufgebaut, den es in Europa gibt.”

Martin Schulz
Noch ein paar Sätze zum SPD-Vorsitzenden und gescheitertem Kanzlerkandidaten. Mit dem Konzept für eine Reform des Arbeitslosengelds I lieferte Martin Schulz zum Wahlkampfauftakt den wichtigsten Wahlkampfstoff: die Korrekturen der Agenda 2010.

Meine Frage hierzu: Wer waren die Verhinderer, die dem Kanzlerkandidaten den Boden unter den Füßen wegzogen, als sie die von Schulz proklamierten überfälligen Korrekturen unauffällig im Tresor ließen? Aus Angst vor CDU/CSU? Angst vor der Wirtschaft? Angst vor den Medien? Oder war es die Angst vor dem eigenen Eingeständnis, dass man sich an den Arbeitnehmern versündigt hat?

Wie Schulz’ Agenda-2010-Korrekturen im Einzelnen hätten aussehen können, hat die Süddeutsche Zeitung (SZ) in der Online-Ausgabe vom 4. März 2017 ausführlich formuliert. Es waren meines Erachtens die Vorstellungen von Schulz, die ihm anfangs zu der Begeisterung verhalfen, die SPD kurzzeitig in der Wählergunst über der CDU schweben zu lassen.

Was genau darunter zu verstehen war, hat die SZ auf den Punkt gebracht. Schulz aber scheint in der Folge alles vergessen zu haben, was sich auch nur in die Nähe seiner früheren Vorstellungen befand. Hier steht es nachvollziehbar:

http://www.sueddeutsche.de/politik/wahlkampf-schulz-entwickelt-die-spd-weiter-1.3405213

Ein neue Anlauf für ein Mitgliederbegehren
Alles ist schlüssig. Sogar der Niedergang der großen Volkspartei SPD. Als Indiz hierfür darf man ein Ereignis heranziehen, das sich bereits 2003 unter der Bezeichnung “Mitgliederbegehren” gegen die Agenda 2010 niederschlug. Was damals scheiterte, könnte heutzutage erfolgreich sein.

Zu den Unterzeichnern gehörte auch der Publizist und Schriftsteller Johano Strasser, der als Mitglied der Grundwertekommission hohes Ansehen in der Partei genießt (Interview  der SZ vom 17. Mai 2010 mit SPD-Vordenker Johano Strasser)

“Die Agenda hat ganze Lebensläufe diskreditiert”, sagt er zu SZ.de. Hartz-IV-Empfänger bekämen zu wenig Geld. Der Kontrollaufwand sei enorm. Menschen, die 30, 40 Jahre lang hart gearbeitet hätten, würden um ihre Ersparnisse gebracht. “An der Agenda ist einiges inzwischen korrigiert worden. Aber das reicht lange nicht”, findet Strasser. “Der Grundkurs der Agenda war und ist falsch.” Das sei ein “Sündenfall”, der bei etwas mehr Mut vermeidbar gewesen wäre.

Abschließend
Wenn es der SPD-Spitze nicht gelingt, sich aus der parteiinternen neoliberalen Falle zu befreien, wird ihr Weg in die Bedeutungslosigkeit noch nicht beendet sein; sie wird den Weg alles Irdischen gehen und in irgend einer Senke verschwinden.

 

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3 Antworten zu Wie ist die SPD noch zu retten? Wer soll sie retten?

  1. Alfons Maximini sagt:

    Schroeder, Münte, Steinmeier, Steinbrück, Oppermann, Scholz, Gabriel,…..usw. ferngesteuerte Wohlfühldemokraten für Wirtschaft und Kapital. Die Agenda 2010 ist ja vom VW-Vorstand Hartz und Automann Schröder geboren und durchgeboxt worden.Die Partei hat sich blenden lassen von der Aussicht sie könne die Stellschrauben zur Korrektur nach 1-2 Jahren bewegen. Der Beifall der Wirtschaft, der Liberalen und der Konservativen war wie Honig für das sozialdemokratische Herz. Wer denkt da noch an Korrektur. Folge: ein riesengroßer Vertrauensbruch bis heute. Die Partei lässt sich doch von ihren Größen am Nasenring durch die Arena ziehen. Nicht Deutschland schafft sich ab, die Sozialdemokraten schaffen sich ab. Wer hat denn bei der Mitgliederumfrage 2013 für die GroKo gestimmt? Wer war denn so geil auf Posten und Ämter statt sich mit den Gründen der Niederlagen der letzten Bundestagswahlen zu beschäftigen. Bis heute erfahren nun die verdutzen Mitglieder, wurden weder ernsthafte Analysen noch Konsequenzen aus den Wahlniederlagen gezogen. “Opposition ist Mist”, sicher, aber Mitgliederschwund, Wählerabwendung, Vertrauens- und Glaubwürdigkeitsverlust ist noch größerer Mist. Auf die treuen noch in den Kommunen ehrenamtlich arbeitenden SPDlern hört die Parteihierarchie schon lange nicht mehr. Berlin – das selbsternannte Machtzentrum, was wollen da die Provinzler mit ihren kleinen Sorgen. Wer hat Martin Schulz gestoppt? Lese den Anfang meines Kommentars. Wenn dann noch so funktionslose Ehemalige vor einem Millionen Fernsehpublikum sagen:..” ich habe Schulz nicht gewählt und fordere seinen Rücktritt”. Und kein Kommentar aus der Parteiriege dazu, da muss ich mich doch fragen:” Warum mache ich eigentlich noch Wahlkampf”? Auch die aktuelle Nachrichtenlage zu einem muslimischen Feiertag: “Schulz ist angetan von diesem Vorschlag”, hat katastrophale Auswirkungen auf unsere Mitglieder sowie auf die noch verbliebenen Wählerschaft. Ich bin stolz ein Sozialdemokrat zu sein, aber nur auf die ersten 35 von insgesamt 47 Jahren.

    • Egon Sommer sagt:

      Lieber Alfons,
      Brüder im Geiste – das ist, was ich mir gewünscht habe. Danke für Deinen Kommentar.
      Deine Frage, wer denn 2013 für die GroKo gestimmt hat, beantworte ich ehrlich und sage – Ich! Das geschah in Verkennung verschiedener künftiger Entwicklungen. Alles was die SPD in der GroKo erreicht haben will, hätte sie in 2013 auch mit Rot-Rot-Grün durchsetzen können. Leider wurde uns diese Konstellation vor vier Jahren nicht angeboten. Ich werde den Link meines Blogs der Parteispitze in Berlin bekannt geben. Wer will, kann lesen; auch die Kommentare.
      Herzliche Grüße ins Tälchen,
      Egon

      • Egon Sommer sagt:

        Noch eine Ergänzung zum Kommentar von Alfons Maximini. Alfons schreibt:
        Wenn dann noch so funktionslose Ehemalige vor einem Millionen Fernsehpublikum sagen:..“ ich habe Schulz nicht gewählt und fordere seinen Rücktritt“ – weiß man um den Zustand der SPD.
        Dem füge ich hinzu: Der funktionslose Ehemalige war Klaus von Donany, 89, in der Maischberger Talkshow am 27.09.2017. Der ehemaliger Hamburger SPD-Bürgermeister und frühere SPD-Bundesminister soll zudem geäußert haben, er habe auch die SPD nicht gewählt, so die Meldung in den Medien. Gibt es da noch Fragen zu 20,5 Prozent?

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