Der gekringelte Schweif
Die Überschrift zum klitzekleinen Kurzbeitrag in der Wochenzeitung derFreitag, Ausgabe 17/21, erweckte meine Neugier. Er war dann auch Beweggrund für diesen Blog. Der vermutlich als Glosse entstandene Artikel von Redakteur Lutz Herden (LH) war offenbar dem bevorstehenden Abzug der US-, NATO- und anderen Streitkräften dieser Erde aus dem ausgebluteten Land im mittleren Osten gewidmet.
Ich habe mir als Abonnent des digitalen derFreitag ausnahmsweise mal erlaubt, den Kurzartikel textgetreu zu übernehmen. Der gedankliche Hintergrund hierbei war der bereits für Juni 2021 beabsichtigte Rückzug der Interventionskräfte der Bundeswehr aus Afghanistan. Meine Intension war es, die Logik einer “Kriegssprache unter Fachleuten” zu erkennen. Wenn das so stimmt, wie der tolle Afghanistan-Veteranen-Abend verlaufen sein soll, dann wird mir bewusst, warum Annegret Kramp-Karrenbauer deutsche Verteidigungsministerin geworden ist; nur so zum Spaß?
Ausgedacht & draufgesetzt –
“Es wurde ein toller Abend. AKK hatte Afghanistan-Veteranen ins Verteidigungsministerium geladen, damit sie private Videos vorführten. „Hier sehen Sie, wie eine unserer Raketen durch eine Schlucht fegt, dass den Muselmanen Hören und Sehen vergeht“, erklärte Feldwebel Schwertfeger, als AKK wissbegierig dazwischen funkte: „Ist das die Stelle, an der unsere Raketen Zivilisten immer ausgewichen sind?“ – „Das kann man schön am gekringelten Raketenschweif sehen“, raunte Schwertfeger mit dem Schneid des alten Kämpfers an den Fronten des Guten. „Aber irgendwo müssen die Dinger natürlich runter.“ – „Das wird den Leuten dort fehlen, wenn wir jetzt abziehen“, seufzte AKK. LH
Sofort stellt sich nun die Frage:
Was wird aus Deutschlands Freiheit, wenn sich die Bundeswehr aus Afghanistan verabschiedet. Ist dann Deutschlands Freiheit in Gefahr?
Der frühere Bundesverteidigungsministers Peter Struck († 2012) sagte bereits am 4. Dezember 2002 am Beispiel des geplanten Afghanistan-Einsatzes: „Die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland wird auch am Hindukusch verteidigt.
Als George W. Bush unmittelbar nach den Anschlägen am 11. September 2001 im Oktober 2001 den Krieg in Afghanistan ausrief mit dem Ziel, die seit 1996 herrschende Taliban-Regierung zu stürzen und Al-Qaida zu bekämpfen, war es mit Deutschlands Souveränität vorbei. Die deutsche Beteiligung am Krieg in Afghanistan ist vom Deutschen Bundestag Ende 2001 auf Antrag der von Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) geführten rot-grünen Bundesregierung beschlossen worden. Es herrschte ja der Verteidigungsfall(!?).
Wäre die Schröder-Regierung damals ihren Prinzipien der Nichteinmischung, wie später im Irak-Konflikt, treu geblieben, es wäre uns und der Welt viel erspart geblieben. 53 tote deutsche Soldaten werden von Statista Research Department gezählt. Nach einer Studie der IPPNW (International Physicians for the Prevention of Nuclear War), Deutsche Sektion der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges / Ärzte in sozialer Verantwortung e.V. – sind im „Krieg gegen den Terror“, weit über eine Million Menschen getötet worden. Diesen “War on Terror” hatte der damalige US-Präsident George W. Bush proklamiert. Dazu gehörte auch die wegen massiver Lügen umstrittene Begründung des Irakkriegs 2003, dem sich die Bundesregierung unter Gerhard Schröder widersetzt hatte.
Nach dem Willen des neugewählten US-Präsidenten Joe Biden sollen die US-Truppen nun bis zum 11. September dieses Jahres, also 20 Jahre nach den Terror-Anschlägen von New York, aus dem Bürgerkriegsland abziehen (Vorgängerpräsident Trump hatte mit den Taliban bereits Ende April als Rückzugszeitpunkt vereinbart). Gleichzeitig endet somit auch der Nato-Einsatz an Hindukusch. Die Anschläge hatten damals den Einmarsch ausgelöst und zum Sturz des Taliban-Regimes geführt. Und weil die zurückgedrängten Taliban aus Hinterhalten gewaltsam weiter ihre Positionen halten wollen, kann nur gelten:
Von Frieden in Afghanistan kann nach wie vor keine Rede sein.
Ein arte-Reportage beschreibt die Situation aus 2020, wie sie auch heute noch im Land herrscht: Afghanistan: Eine Bürgermeisterin gegen die Taliban
Im Vorwort zu dem arte-Video heißt es:
“Zarifa Ghafari ist die jüngste und erste Frau als Bürgermeisterin in einer Stadt an der Grenze zu den Taliban. In einer der konservativsten und gefährlichsten Regionen Afghanistans regiert die 26-jährige Bürgermeisterin Zarifa Ghafari. Aus Sicherheitsgründen lebt sie in Kabul und muss täglich die 50 km zu ihrem Amtssitz in Maidan Shar pendeln. Die Menschen in ihrer Provinz haben das Vertrauen in die Regierung verloren und unterstützen mehrheitlich die Taliban. Zarifa Ghafari aber will das Vertrauen der Bevölkerung wiedergewinnen und macht sich auch dadurch viele Feinde. Nach 40 Jahren Krieg ist Afghanistan immer noch weit davon entfernt, friedlich zu sein. Im Jahr 2001 marschierten die USA und ihre westlichen Verbündeten in Afghanistan ein, um das Taliban-Regime zu zerschlagen und die Ordnung wiederherzustellen. Die Hoffnung war groß, dass es dem afghanischen Volk diesmal gelingen würde, Frieden zu finden und das Land wiederaufzubauen. Das ist gescheitert, vor allem an der Korruption im Land. Es sind vor allem die ärmeren ländlichen Landesteile, 60% des Landes, die sich den Taliban angeschlossen haben. Für die Bauern ist ein starker Moral- und Stammeskodex oft wichtiger als alles, was aus dem Westen kommt. Ihnen gelten alle Bemühungen internationaler Organisationen und NGOs, das Land zu modernisieren und Bildung zu bringen, als gefährlich und böse. An der Grenze der Stadt beginnt das Gebiet des Taliban Kommandeurs Musafer. Seit 11 Jahren kämpft er auf Seiten der Taliban, in den Bergen 50 km westlich von Herat, einem Staat im Staat – auch gegen die Bürgermeisterin Zarifa Ghafari.”
Als Erfolgsgeschichte versuchen jetzt gewisse Kreise die (Un-)Wahrheit über die Situation in Afghanistan zu vermitteln. Wer das Video aufmerksam verfolgt, kommt jedoch den tatsächlichen Gegebenheiten näher. Auch in Afghanistan leben Menschen, die wie wir das friedliche Zusammenleben ersehnen. Es ist in 20 Jahren nicht gelungen und wird auch weiterhin nicht umzusetzen sein, einem islamisch geprägten Land fremde Kultur aufzuzwingen. Die starke Rolle der Religion verhindert jegliche gewaltsame Veränderung. Diese muss allein vom Volk ausgehen.
Die Kosten des Afghanistankriges
Bei der Frage nach den Kriegskosten bleibt jedem Menschen, dem Vernunft gegeben ist, fast die Luft weg. Was mit diesen Milliarden hätte geschehen können, wenn nur ein Bruchteil für die Infrastruktur Afghanistans investiert worden wäre, darf ein Jeder sich nach Phantasie ausmalen.
statista – Global No.1 Business Data Platform – zeigt die Kosten der US-Kriegseinsätze im Irak und in Afghanistan bis zum Jahre 2015. Zahlen aus der Trump-Ära stehen hier nicht zur Verfügung; vielleicht aus Scham.
Die Kosten der deutschen Beteiligung sowie das Prozedere des Abzugs sind von der Tagesschau am 17.04.2021 bekannt gegeben worden.
ntv berichtete gestern, 01.05.2021, Video 1:47 Minuten
Nato verlässt zerrüttetes Land – Afghanistan droht Rückfall unter Islamisten-Joch
Der Abzug der Nato-Truppen aus Afghanistan ist beschlossen. Bis September sollen auch alle deutschen Soldaten wieder zurückkehren. Dutzende ließen in dem langen Einsatz ihr Leben. Frieden aber herrscht in der Region bis heute nicht – im Gegenteil.